Empfehlungen zur ex situ-Erhaltung und Ansiedlung gefährdeter Wildpflanzen
Das Wichtigste in Kürze:
Ziel:
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Ansiedlungen gefährdeter Pflanzenarten werden als immer wichtigere Massnahmen für den Erhalt der Biodiversität propagiert. Ansiedlungen sind je nach dem eine interessante Ergänzung zu den Artenschutzmassnahmen in situ. Die Priorität im Naturschutz liegt in der in situ-Erhaltung so vieler natürlicher Populationen wie nur möglich in ihren ursprünglichen Habitaten. Ansiedlungen können allerdings als ergänzende Massnahme sehr sinnvoll sein um den Rückgang der Biodiversität aufzuhalten.
Spricht man von Ansiedlungen, muss man zwischen Verstärkungen, Wiederansiedlungen und Neu-Ansiedlungen unterscheiden (siehe auch die IUCN Guidelines).
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Die häufigste Ursache für eine gescheiterte Ansiedlung (Wiederansiedlung) ist ein nicht geeignetes Habitat. Deshalb ist es für den Ansiedlungserfolg besonders wichtig, die Eignung eines Habitats sicher zu beurteilen – eine Aufgabe die oft schwierig ist. Biologie und Ökologie der betreffenden Art, sowie die ökologischen Bedingungen der ursprünglichen, besammelten Population und des ausgesuchten Wildstandortes für die Ansiedlung müssen genauestens bekannt sein.
Vor allem kleine Populationen können stark durch Umweltschwankungen beeinträchtigt werden. Zudem muss beim Verpflanzen von Individuen sowie beim Aussähen von Samen damit gerechnet werden, dass die Population in den ersten Jahren deutlich abnimmt, sich dann aber nach einem Flaschenhals auch wieder erholen kann. Dabei sind Populationseinbrüche von bis zu 90 % nicht ungewöhnlich. Deshalb ist es so wichtig, möglichst viele Individuen auszubringen, um das Überleben der Population zu sichern. Eine grosse Individuenzahl vergrössert auch die Chance, dass unter den vielen verschiedenen Genotypen sich nicht angepasste ausselektionieren, und angepasste sich etablieren können.
Es ist jedoch oft schwierig eine Anzahl Individuen für Ansiedlungen zu empfehlen. Je nach Art und Lebensraum werden mehr oder weniger Individuen benötigt, um eine eigenständige Population zu gewährleisten. Ein paar Faustregeln gibt es aber doch:
Werden Pflanzen anstelle von Samen ausgebracht, scheint dies vor allem für langlebige Arten von Vorteil zu sein, da bei diesen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Same zur adulten Pflanze wird, oft geringer ist. Eine adulte Pflanze macht viele Samen, und trägt somit stärker zum Populationswachstum bei als ein Same, der womöglich den adulten Status nicht erreicht. Je älter eine Pflanze wird (Alter der ersten Reproduktion) desto mehr Samen werden benötigt um eine ausreichende Anzahl adulter Individuen im Naturstandort zu erhalten und somit eine selbsterhaltende Population zu gründen. Für kurzlebige, z.B. annuelle Arten ist der extra Aufwand des Pflanzen Aufziehens und Auspflanzens nicht zwingend notwendig.
Unzählige Studien unterstreichen die Wichtigkeit einer hohen genetischen Variation für das Überleben von Populationen und demzufolge für den Ansiedlungserfolg gefährdeter Pflanzenarten. Je diverser eine Population ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen kann, eine Eigenschaft, die besonders vor dem Hintergrund des derzeitigen Klimawandels zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zudem schützt eine hohe genetische Variation vor Inzucht. Eine grössere genetische Variation kann durch das Mischen von Pflanzenmaterial verschiedener Populationen erreicht werden.
Allerdings besteht oft die Sorge, dass durch das Mischen verschiedener, eventuell sogar entfernt liegender Populationen Pflanzenmaterial eingebracht wird, welches nicht an die lokalen Umweltbedingungen angepasst ist. Vor allem bei Verstärkungen von sich im Rückgang befindenden Populationen mit Pflanzenmaterial aus anderen Populationen, könnten so lokale Anpassungen aufgebrochen werden und die Situation für die gefährdete lokale Population noch schlimmer gemacht werden. Dieses Phänomen nennt man Auszuchtdepression, und konnte bisher vor allem bei der Einbringung von Material aus sehr weit entfernt liegenden Populationen (mehr als 200 km) festgestellt werden. Der derzeitige Kenntnisstand lässt allerdings vermuten, dass die Risiken von Inzuchtdepression viel grösser sind als die der Auszuchtdepression. Da jedoch sowohl Inzuchtdepression als auch eine fehlende Anpassung an das Habitat das Überleben einer Population beeinflussen, sollte vor jeder Ansiedlung die Wahl der Herkunft des Materials gut überlegt sein. Stark differenzierte Populationen, z.B. Populationen, welche geografisch sehr weit voneinander entfernt sind, oder welche deutlich andere Habitateigenschaften aufweisen, sollten nicht gemischt werden.
Das verwendete Material bestimmt den Erfolg der Ansiedlung mit! Idealerweise sollte das angesiedelte Material den lokalen Umweltbedingungen entsprechen, den lokalen Genpool wiederspiegeln und zugleich eine genetisch diverse Population repräsentieren.
Angepasstes Material verwenden
Unzählige Studien zeigen, dass die Pflanzen an ihre abiotischen und biotischen Bedingungen angepasst sind. Ein paar Regeln:
Diverses Material verwenden
Eine hohe genetische Variation des auszupflanzenden Materials ist wichtig um eine rasche Anpassung an die lokalen und zukünftigen Bedingungen zu garantieren. Deshalb sollte möglichst der gesamte Genpool einer besammelten Population im Ansiedlungsmaterial vertreten sein (siehe auch die Empfehlungen zum Sammeln von Samen).
Traditionellerweise wurde bisher empfohlen bei Ansiedlungen nur Material einer Population zu verwenden sofern keine Informationen über das Fortpflanzungssystem, Ausbreitung und genetische Struktur bekannt sind welche ein Mischen verschiedener Populationen rechtfertigen würden. Neue Studien weisen allerdings darauf hin, dass eine möglichst grosse genetische Variation von Pflanzen verschiedener Populationen zu besseren Ansiedlungserfolgen führt. Obschon ebenfalls Beispiele für eine höhere Erfolgsrate durch die Verwendung lokalen Materials existieren, scheint im Hinblick auf den Einfluss des Klimawandels und die damit eintretenden Veränderungen ein Mischen von Herkünften von Vorteil, um der angesiedelten Population eine Möglichkeit zur Anpassung an zukünftige Bedingungen zugeben. Die Einbringung von Pflanzenmaterial aus mehreren benachbarten Populationen, welche aus ähnlichen Habitaten stammen, scheint demzufolge sinnvoll zu sein.